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Posing und Modellführung

Posing und Modellführung

In  meiner Workshop- und Coachingpraxis erfahre ich oft, wie schwer es vor allem am Anfang vielen Fotografen fällt, Modelle so zu führen, dass die Posen ansprechend aussehen und das Modell versteht, was bei den Posinganweisungen jeweils gemeint ist. Mir selbst ging es übrigens vor ein paar Jahren noch genauso.

Während eines Shootings hängt vieles davon ab, wie klar und verständlich ihr eure Anweisungen und Vorgaben kommuniziert. Bei erfahrenen Modellen ist der Führungs- und Korrekturaufwand sicher geringer als bei Anfänger-Modellen oder anderen Personen, die kaum Erfahrung vor der Kamera haben.

Eine Foto-Session könnt ihr zum Beispiel ganz einfach damit beginnen, dass ihr dem Modell zeigt, an welcher Stelle sich dessen Aufnahmeposition befindet. Im Studio lässt sich diese Position mit einem Klebeband markieren, so dass das Modell auch nach einer Unterbrechung noch weiß, wo es sich hinstellen soll. Auch wenn ihr outdoor oder on Location fotografiert, ist der Standpunkt sehr wichtig. Je mehr ihr ein Modell über solche vermeintlichen Kleinigkeiten im Unklaren lasst, desto unsicherer wird es sich bereits von Anfang an fühlen.

Hobby- oder Anfängermodelle benötigen immer etwas Zeit, um sich in die Situation einzufinden. Versucht, ihm den Weg zu ebnen, indem ihr vor allem am Anfang eines Shootings vorgebt, wie es sich in Relation zur Kamera-Achse positionieren soll. So könnt ihr dem Modell zum Beispiel sagen, dass es sich entweder frontal, leicht seitlich oder ins Profil stellen soll. Darüber hinaus gibt es naturgemäß unendlich viele Variationen. Je ausgereifter eure Bildidee ist, desto leichter wird es euch fallen, die einzunehmende Pose zu vermitteln. Achtet aber immer darauf, euch begreiflich auszudrücken. Sonst kann es passieren, dass das Modell eine vollkommen andere Pose einnimmt, als ihr euch vorgestellt habt.

 

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Ein Beispiel:

Ihr wollt, dass das Modell die linke Schulter etwas nach oben nimmt. In der Aussage »Nimm bitte die linke Schulter etwas nach oben« stecken gleich zwei unklare Botschaften. Das Modell wird sich zu Recht fragen, was genau ihr nun meint.

  1. »Links« aus der Sicht des Fotografen oder aus der des Modells?
  2. Bedeutet »etwas nach oben« 1 cm oder 10 cm nach oben?

Wenn das Modell in diesem Moment gerade in einer anspruchsvollen Pose verharrt und sich solche Fragen stellen muss, kann es passieren, dass die Körperspannung nachlässt und die vielleicht ansonsten perfekte fotografische Situation erledigt ist. Vermeidet deshalb also unbedingt mehrdeutige Anweisungen.

Eine Möglichkeit wäre es, vor dem Shooting mit dem Modell zu klären, welche Perspektive ihr meint, wenn ihr »links« oder »rechts« sagt. Dabei ist es ratsam, sich für die Sichtweise des Modells zu entscheiden, damit nicht unnötig Zeit verloren geht, indem es eure Richtungsangabe gedanklich auf seine eigene Perspektive übertragen muss. Eine zweite Möglichkeit wäre die Präzisierung der Richtungsangabe während des Shootings mit einer Aussage wie zum Beispiel »aus deiner Sicht links (oder rechts)«. Meine bevorzugte Lösung ist, die Richtungsangabe per Handzeichen zu verdeutlichen, indem ich mit einem in die gewünschte Richtung ausgestreckten Finger zum Ausdruck bringe, dass genau jene Schulter nach oben muss und nicht die andere. Eine Verwechslung ist damit ausgeschlossen.

Die Aussage »etwas nach oben« ist ebenfalls zu vage und trägt eher zur Verwirrung des Modells bei. Angaben wie 1 cm, 5 cm oder 10 cm nach oben sind schon deutlich klarer, dienen der Orientierung des Modells und werden eher zum gewünschten Ergebnis führen. Quält euer Modell aber bitte nicht mit einer Anweisung, die Schulter genau 7,5 cm nach oben zu nehmen. Sagt dem Modell deutlich hörbar »Stopp«, sobald es die richtige Position erreicht hat.

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Denkt immer daran, dass Anweisungen für euch selbst zwar klar erscheinen mögen, beim Modell aber etwas völlig anderes ankommen kann. Neben verwirrenden Richtungsangaben können auch Aufforderungen an das Modell, wie zum Beispiel bestimmte Körperteile zu neigen, zu drehen oder zu kippen, zu Irritationen führen. Erklärt am besten vor dem Shooting, was ihr mit solchen Begrifflichkeiten konkret meint. Mitunter kann es sehr schwierig sein, etwas in Worte zu fassen. In diesem Fall habt ihr auch die Möglichkeit, die Pose selbst zu demonstrieren.

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Falls ihr Vorlagen aus Magazinen oder Modezeitschriften nutzt, könnt ihr sie dem Modell zeigen und es bitten, sie nachzumachen. Damit habt ihr zumindest eine Grundpose zur Verfügung, auf deren Basis ihr je nach Geschmack variieren könnt. Allerdings solltet ihr euch immer vergegenwärtigen, dass jeder Mensch und damit auch jedes Modell anders ist. Posen, die beim einen Modell gut aussehen, können bei einem anderen unnatürlich erscheinen. Beharrt also nicht unbedingt auf die exakte Imitation bestimmter Posen, sondern bleibt offen für Abweichungen oder Ergänzungen.

Mit Anweisungen wie zum Beispiel »schau mal sinnlich«, »mach mal eine sexy Pose« oder ähnlich unklaren Botschaften solltet ihr sehr vorsichtig sein. Ihr würdet euch wundern, was dabei entstehen kann – vermutlich aber alles andere als anmutige oder verführerische Ausdrücke. Die Fähigkeit, solche Vorgaben umzusetzen, ist wahrscheinlich nur ganz wenigen Profi-Modellen vorbehalten. Auf alle anderen wirken solche Aufforderungen eher befremdlich und sind deshalb nicht zielführend, da die Eigenwahrnehmung des Modells in Bezug auf seine Sinnlichkeit eine ganz andere sein kann als von außen betrachtet.

Versorgt euer Modell deshalb mit eindeutigen Informationen, indem ihr mitteilt, dass es zum Beispiel das Kinn leicht senken soll, womit ihr erreichen könnt, dass der Ausdruck tatsächlich sinnlich wirkt.

Einige beispielhafte Posinganweisungen und ihre möglichen Wirkungen:

  •   Kinn senken = sinnlich/verführerisch bis verlegen/schüchtern
  •   Kinn anheben = stolz/selbstbewusst bis arrogant/überheblich
  •   Augen schließen = verträumt/romantisch bis nachdenklich/abwesend
  •   Mund leicht öffnen = sinnlich/verführerisch
  •   Augenbrauen zusammenziehen = konzentriert/ernst bis wütend/aggressiv

Bestimmte Bildaussagen lassen sich durch überlegtes Posing hervorragend darstellen und unterstreichen. Die Haltung des Kopfes trägt wesentlich zum Ausdruck des Modells bei. Willensstärke oder Zurückhaltung, ein herausfordernder oder schüchterner Ausdruck können durch die Kopfhaltung charakterisiert werden. Durch Anheben des Kinns und Zurückwerfen des Kopfes erreicht ihr eine Wirkung von Dominanz oder Unerschrockenheit, mit einer entsprechenden Mimik zum Beispiel aber auch Desinteresse oder Unnahbarkeit. Diese Wirkungen lassen sich durch die Wahl der Kameraperspektive unterstützen oder gar verstärken. Ein durch das Anheben des Kinns entstehender selbstbewusster Ausdruck wird in Kombination mit einer niedrigen Kameraposition noch stärker und kann bis zu einem Ausdruck von Arroganz gesteigert werden.

Unterstützt euer Modell auch durch eigene Ausdrucksformen. Wenn ihr zum Beispiel erreichen möchtet, dass das Modell für das Foto lächelt, bringt ihm ebenfalls ein Lächeln entgegen. Möchtet ihr hingegen, dass das Modell eine streng fokussierte Fashion-Pose mit der erforderlichen Körperspannung einnimmt, verpackt eure Anweisungen einfach in einen energischen Tonfall und bleibt dabei ernst.

 

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Lasst bei euren Shootings immer genügend Raum für Spontaneität und beteiligt das Modell mit seinen eigenen Ideen. Wenn sich ein Modell gleichberechtigt am Gesamtwerk einbringen kann, ist das Engagement in der Regel am größten.

Grundsätzlich gilt im Umgang mit Personen vor der Kamera, sie stets respektvoll und achtsam zu behandeln. Ein gelungenes Foto kann nur entstehen, wenn die Atmosphäre stimmt und das Modell sich wohlfühlt.

 

Über den Autor:

Wolfgang Armbruster

Blendwerk Freiburg
Fotograf & Autor
info@blendwerk-freiburg.de
www.blendwerk-freiburg.de
facebook.com/Blendwerk.Freiburg.Fotografie

Posing und Modellführung im Fokus: Fotomodelle perfekt in Szene setzen
Taschenbuch: 212 Seiten
Verlag: Wiley-Verlag GmbH & Co. KGaA
Preis: 26,99
http://www.blendwerk-freiburg.de/buch

Ein Kommentar

  1. Woooha, viele Informationen, aber sehr nützlich. Danke, in dem Bereich hab ich noch Luft nach oben :)

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